Es passierte an einem Montagnachmittag, an der Bushaltestelle am Marktplatz, also mitten in Groß-Gerau. Eine 20jährige Studentin mit Migrationshintergrund wird von einem Mann in übelster Weise angepöbelt und belästigt. „Du Scheiß-Flüchtling“ gehört noch zu den weniger krassen Verbalattacken. Die junge Frau, die ein Kopftuch trägt und hier zur Schule gegangen ist, versucht den Konflikt allein zu klären und reagiert ruhig und äußerlich gelassen: „Ich bin hier geboren!“ Das bleibt völlig ohne Wirkung und zum Zeichen der Verachtung schüttet der Mann einen Teil seines Getränkes auf den Boden und schreit; „Trink das!“. Beim Besteigen des Busses schüttet der Mann dann den Rest seines Getränkes über ihren Kopf und versucht sie am Reingehen zu hindern. Schließlich greift die Begleiterin des Mannes ein, nicht etwa der Busfahrer oder ein Fahrgast, und die junge Frau setzt beschmutzt und durchnässt ihren Weg fort. Soweit der Sachverhalt, berichtet von der FR am 19. Mai und aktuell noch einmal am 23. Mai 2020.

Was man kaum glauben mag: Niemand kommt zu Hilfe, ergreift Partei. Die Umstehenden nicht, keiner der Fahrgäste und was man noch am Ehesten erwarten möchte, auch der Busfahrer nicht, obwohl er in seinem Bus das Hausrecht besitzt. Selbst die Polizei scheint sich dem Kommentar der Journalistin Suanne Wildmeister vom Groß-Gerauer Echo zu Folge über den Vorfall mehr zu amüsieren, als den Vorfall aufzugreifen und sofort zu erkennen, dass hier der Artikel 1 des GG betroffen ist: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Und zwar die Würde jedes Menschen, egal wo er herkommt, wie er aussieht und was oder an wen er glaubt.

Es ist gerade mal drei Monate her, als das Attentat von Hanau mit seinem rassistischen Hintergrund uns alle erschütterte. Politiker aller Parteien bekundeten ihr Entsetzen und Beileid.  Und, so hörte ich manche Stimme hier bei uns: „In Groß-Gerau kann so etwas nicht passieren“. Können wir dessen noch sicher sein? Seit kurzem wissen wir, dass der Staatsschutz ermittelt und eine möglicherweise politische Straftat, die zu einem Wohnsitzlosen führt, nicht ausschließt. Gott sei Dank, so wird ein bisschen Glauben an den Rechtssaat wiedergewonnen.

Was dürfen wir in solchen Situationen erwarten und worauf müssen wir uns verlassen können?

  1. Der Artikel 1 des Grundgesetzes gilt für jeden und jede: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Jeder von uns muss dieses Menschenrecht verteidigen.
  2. Das Vertrauen in den Rechtsstaat darf nicht verloren gehen. Chaos und Willkür wären die Folge und unser aller Sicherheit in Gefahr.
  3. Das Vertrauen in die Polizei, die nicht wegguckt, jeden dieser Vorfälle ernst nimmt und verfolgt, muss uneingeschränkt gegeben sein oder wiederhergestellt werden.
  4. Der Bürgermeister dieser Stadt, der sich in dieser Frage erstaunlich defensiv verhalten hat und sich scheinbar nicht angesprochen fühlte, muss mit seiner Verwaltung jederzeit für die Achtung der Menschenrechte eintreten und Übergriffe sofort zurückweisen. Das Parlament, der Magistrat und die Verwaltung müssen für uns alle sichtbar, jede Form von Fremdenfeindlichkeit verurteilen und alle Möglichkeiten nutzen, sie zu unterbinden.
  5. Eine freie Presse, die, wie im vorliegenden Fall, objektiv und uneingeschränkt über gesellschaftliche Missstände berichtet und Machtmissbrauch anprangert, als ein Garant für die Wahrung der Meinungsfreiheit.

Wir sind froh und dankbar, dass die Presse über diesen rassistischen Vorfall berichtet und ihn mit Hilfe des Kommentares durch Frau Wildmeister unzweideutig kommentiert und verurteilt hat.

Alfred Harnischfeger